Das Sarissa Experiment – ein Erfahrungsbericht zur Rekonstruktion der makedonischen Lanze

Die Idee und Quellenstudium

Im Jahr 2006 beschlossen wir, Thorsten Schillo und Kurt Schrauder, dass wir Sarissen nachbauen wollten um in unserem Verein Makedonische Pezhetairoi darzustellen. Uns war zu diesem Zeitpunkt nicht ganz klar wie langjährig und durchaus komplex dieses Experiment sein würde und dass wir einige Änderungen im Lauf der Jahre durchführen würden.

Wie bei vielen Rekonstruktionen in dieser Zeitepoche fehlen leider Details in den antiken Quellenangaben. Ein weiteres Problem stellt sich dadurch, dass die Quellen in einem Zeitraum von 200 Jahre verteilt sind und man dadurch eventuelle Entwicklungen der Waffe in den jeweiligen Zeiträumen schwer nachvollziehen kann. Das erste worüber wir uns klar wurden war, dass wir die Waffe in 2 Teilen bauen werden. Ganz nach Professor Manolis Andronikos Theorie, der 1977 bei der Entdeckung der Königsgräber in Vergina Waffenfunde als Teile der Sarissa deklarierte. Natürlich möchten wir darauf hinweisen, dass es auch Theorien gibt in denen angenommen wird dass die Sarissa in einem Stück gefertigt war. Wir haben uns aus dem praktischen Gründen des modernen Transportes auf die zweiteilige Bauweise geeinigt.

Außer einigen wenigen Textstellen in antiken Quellangaben, gibt es ein paar interessante Aufsätze zu diesem Thema wie:

  • The Sarissa von Nick Sekunda
  • The Macedonian Sarissa, Spear, and related armor von Minor M. Markle
  • Experiments with the Sarissa – the Macedonian pike and cavalry lance – a functional view von Peter Connolly

Insbesondere Markle und Connolly sind erwähnenswert, da beide auch Rekonstruktionen angefertigt und getestet hatten und somit praktische Erfahrungsberichte vorliegen. Leider verfügten wir zu Beginn unseres Versuches nicht über alle Textquellen und mussten unsere eigenen Erfahrungen machen.

Was die Länge der Waffe angeht haben wir uns an die Quellangabe von Theophrast gehalten von 12 Ellen für unsere Sarissen, das entspricht einer Länge von ca. 5,50 Metern. Ein Problem bei der antiken Maßangabe ist, dass die Elle unterschiedlich bewertet wurde, abhängig ob man beispielsweise von einer attischen oder makedonischen Elle spricht. Auch scheint die Berechnung der Maßeinheit Elle mit verschieden leicht abweichenden Faktoren durchgeführt worden zu sein, wie man deutlich in Peter Connolly’s Aufsatz über seine Sarissa Rekonstruktion nachlesen kann. In der Übersetzung lautet Theophrast Text: Die Höhe des "männlichen" Baumes ist in den meisten Fällen 12 Ellen, das entspricht der Länge der „längsten Sarissa“. Trotz dieser Ungenauigkeit der Länge haben wir uns auf die umgerechneten 5,50 Meter geeinigt.

Was die Holzart angeht gibt es die populäre Meinung, dass die Waffe aus Kornelkirsche angefertigt wurde. Bei genauerer Betrachtung von Theophrast Text wird allerdings klar, dass er dies nicht eindeutig so schreibt. Er beschreibt, dass das Holz der 'männlichen' Kornelkirsche besser geeignet ist für Wurfspeere, als das der 'weiblichen'. Danach kommt die Information, dass der 'männliche' Baum mit 12 Ellen genau so lang ist, wie die längste Sarissa, und der Stamm sich schon in einer sehr niedrigen Höhe aufteilt und nicht mehr gerade wächst. Es wird nicht explizit geschrieben, dass die Sarissa aus dem Holz gefertigt wurde. Eher das Gegenteil könnte man sogar annehmen. Wenn der Baum gerade so groß war wie die Sarissa und noch sehr schief wächst, könnte man sich vorstellen, dass es sehr schwer war Schäfte in der geeigneten Länge am Stück daraus herzustellen. Vorausgesetzt sie war in einem Teil, nicht in zwei wie Andronikos vermutet. Spätere römische Historiker schreiben hingegen sehr viel von Esche als bestes Holz für Lanzen und einer namens Statius schreibt angeblich sogar explizit, dass die Sarissa aus Esche gefertigt war.
Wie bereits erwähnt fehlten uns dieser Stelle die konkreten Aussagen und wir mussten mit ein paar wenigen historischen Details und Vermutungen in unser Experiment gehen.

Die Umsetzung

In unserem ersten Versuch haben wir folgende Annahmen getroffen für das Material:

  • Eisenteile: Lanzenschuh, Spitze und Mitteltülle nach Andronikos Funde aus Vergina.
  • Holzschäfte: Eschenholz mit 3 cm Durchmesser

Die Funde von Vergina

Wie bereits erwähnt fehlten uns dieser Stelle die konkreten Aussagen und wir mussten mit ein paar wenigen historischen Details und Vermutungen in unser Experiment gehen.

Erster Versuch

Nachdem wir die Materialen hatten und uns mit dem Bau der Sarissa praktisch beschäftigt haben wurde sehr schnell klar, dass die Schäfte sich zu sehr durchbiegen. Selbst wenn man mit unterschiedlichen Spitzen arbeitet oder sogar die Spitze ganz weglässt biegen sich die Schäfte sich zu stark durch. Das bei dieser Länge das Holz sich biegt ist durchaus logisch und wurde auch in einer Quellangabe erwähnt, nur nicht so stark wie bei uns. Da würde, so unsere Schlussfolgerung, die Effektivität der Waffe zu sehr leiden bei einem Aufprall. Auch waren Spitze und Lanzenschuh leider etwas schwerer geschmiedet worden als wir uns das wünschten, was den Effekt noch verstärkte.

Bild der ersten RekonstruktionBild der ersten Rekonstruktion

Zweiter Versuch

Bei unserem zweiten Versuch haben wir Eschenschäfte und Tüllen mit einem Durchmesser von 4 cm genommen. Eine Tülle mit diesem Durchmesser wurde nicht gefunden in Vergina muss man allerdings zugeben, wir nahmen sie um mehr Stabilität in unserer Rekonstruktion zu bringen und stellten uns gleichzeitig die Frage ob die Konstruktion wirklich möglich war wie sie Professor Andronikos vermutet hatte. Der Austausch der Schäfte hatte den gewünschten Effekt was die Stabilität unserer Lanzen angeht. Allerdings mussten wir feststellen, dass die Handhabung der Waffe erschwert wurde dadurch. Wenn man die Sarissa alleine führt ist das durchaus machbar. Tests mit nur drei Pezhetairoi in Formation haben sich als schwer umsetzbar erwiesen.

Fazit für uns; die Waffe ist zu schwer in dieser Form des Nachbaus. Im Nachhinein haben wir festgestellt, dass wir die gleiche Rekonstruktion wie Minor M. Markle gemacht hatten und mussten seine Schlussfolgerung teilen.

Bild der zweiten Rekonstruktion.Bild der zweiten Rekonstruktion

Dritter Versuch

Bei unserem dritten Anlauf haben wir uns zunächst darauf geeinigt, dass wir von der „längsten Sarissa“ von 5,50 Meter Abstand nehmen und unsere neue Rekonstruktion auf eine Gesamtlänge von 5 Meter reduzieren. Wir sind allerdings weiterhin bei unserer Annahme geblieben 4 cm Schäfte zu benutzen.

Sämtliche Metallteile haben wir uns neu schmieden lassen. Unter anderem haben wir eine kleinere Spitze angenommen, wie sie ebenfalls in Vergina gefunden wurde. Livius beschreibt in seinem Buch über die Makedonischen Kriege, dass die Sarissa sowohl Schild als auch Rüstung durchstoßen konnte. Das ist mit einer großen Spitze weniger möglich, als mit einer kleineren, so unsere aus praktischen Versuchen resultierende Annahme.

Unser Schmied hat den Lanzenschuh wesentlich filigraner geschmiedet als unsere erste Version. Dadurch hat sich das Gewicht desselbigen verringert und ist mit dem Original vergleichbarer was Optik und Gewicht angeht.

Eisenteile der dritten Rekonstruktion

Den vorderen Schaft der zweiteiligen Lanze haben wir konisch zur Spitze hin zu gehobelt. Durch die konische Verjüngung des Schaftes haben wir nicht nur den Schwerpunkt nach hinten verlagern, sondern auch zusätzliches Gewicht aus der Waffe genommen, was die Handhabung vereinfacht.

Schlussfolgerung: Im Grunde waren alle Maßnahmen im dritten Versuch darauf ausgelegt der Waffe Gewicht zu nehmen um den Umgang zu erleichtern, was erfolgreich in diesem Versuch durchgeführt wurde. Vom einfachen senken, aufnehmen bis zum schwenken der Waffe hat dieser Umbau sich als sehr positiv erwiesen. Wobei die Tests lediglich von einem Pezhetairos durchgeführt wurden. Nun steht lediglich der Versuch in der Gruppe aus, um zu sehen wie die Handhabung in Formationsübungen sich verändert hat.

Persönlich möchte ich anmerken, dass es mit Sicherheit noch Verbesserungspotential geben wird und vieles bei unserem Experiment durch praktische Erfahrung beeinflusst ist, aus Mangel an Originalquellen und Funden. Ich wünsche mir, dass die Forschung irgendwann mehr Fakten und Details zu dieser einzigartigen Waffe finden und veröffentlichen wird.

Kurt Schrauder
©Hetairoi e.V.
Quellenangaben:

  • The Sarissa von Nick Sekunda
  • The Macedonian Sarissa, Spear, and related armor von Minor M. Markle
  • Experiments with the Sarissa – the Macedonian pike and cavalry lance – a functional view von Peter Connolly
  • Vergina: the Royal Tombs von Prof. Dr. Manolis Andronikos
  • Theophrastos, note III, 12, 2, A Naturgeschichte der Gewächse
  • Warfare in antiquity von Hans Delbruck